Lamborghini Huracán Tecnica Attila Langhammer

Lamborghini Huracán Tecnica: Von Einem der losfuhr, die Fahrphysik zu überlisten

Lamborghini Huracán Tecnica Attila Langhammer
Foto: Lamborghini

Es gilt nach wie vor, daß die Physik nicht zu überlisten ist. Aber der Lamborghini Huracán Technica scheint diese Limits nach dem Marc-Zuckerzwerg-Ansatz Move Fast and Break Things zerschlagen zu wollen. Ein Fahrbericht von der Grenze

Im November ’21, als eine sehr überschaubare Gruppe von Journalisten den Lamborghini Huracán Tecnica zum ersten Mal fahren dürfen, befindet sich der kleine Lambo noch im Status eines seriennahen Prototypen. Der Wagen hat keinerlei Badges, mattschwarze Folie kaschiert alles was nicht verglast ist – auch das Logo mit dem goldenen Stier. Totaler Unsinn, denn jeder der ein Herz für Autos hat, ach, was schreibe ich, jeder der nicht Grün wählt, würde dieses Auto als eines aus Sant’Agata Bolognese erkennen. Der Huracán Tecnica trägt seine DNA nach außen: Kantige Flächen, Stealth-Jet-Attitüde, Vorwärtsgier.

Der Tecnica rutscht in eine Produktlücke – zwischen Huracán Evo und Huracán STO – von der ich Ahnungsloser nicht wusste, dass sie existiert. Er ist sportlicher als der Evo, aber bei weitem nicht so auffällig wie der STO mit dem Luftleit-Iro auf der Motorhaube und seinem LeMans-tauglichen Heckflügel. Stattdessen kombiniert der Tecnica das Beste aus beiden Welten: 640 PS und 565 Newtonmeter die ausschließlich die Hinterachse traktieren stammen vom STO, die bessere Alltagstauglichkeit samt unbeschnittenem, vorderem Ladeabteil und deutlich übersichtlicherer Heckpartie orientieren sich klar am Evo. Mehr langweilige Details stehen hinten, denn ich will endlich auf den Track.

Lamborghini Huracán Tecnica sechseckiger Auspuff hexagonal
Foto: Lamborghini

Mit dem Huracán Tecnica in Nardò

Aber: So einen Supersportwagen ohne Kennzeichen im eigentlichen Sinne darfst Du nicht überall fahren und deshalb befinden wir uns an der Box der Handlingstrecke der Pista di Nardò. Nardò ist Narnia für Autofans – ein Ort, an dem alles möglich scheint – und den wohl nur die wenigsten erreichen (Ich habe mich übrigens auch immer zu Team Nicht-Erreichen gezählt). Der Handlingkurs ist 6,2 Kilometer lang, hat eine 1000-Meter-Gerade und 16 Kurven. Die erste ist eine laaaaaaaange links und die fährst Du mit allem an, was Du hast – je nachdem wie saftig Du aus der letzten Kurve vor Start-Ziel raus kommst, kann vor dieser Kurve eine Drei den Tacho anführen.

Bei dem rasenden Instruktor im Wagen vor mir mit Sicherheit: bei mir anfangs eher was um 260, später mittlere 270 – die Geschwindigkeit, bei der ein Ferienflieger von der Piste abhebt. Im Tecnica hebst Du hier kurz vorm Scheitel den Fuß vom Gas und lässt den Lamborghini nach links fallen wie einen wegtauchenden Jet. Trotz dieses absurd hohen Tempos folgt der Huracán Tecnica extrem manierlich diesem Knick, der Dich direkt in die verhängnisvollste Stelle des Handlingtracks schießt.

Denn diese lange Links durch die Du jetzt ohne Gas trudelst, macht ausgerechnet an der Stelle zu, an der Du für die nächste Kurve gern mal heftig bremsen würdest. Du bist zu schnell für diese nächste Kurve, Du musst bremsen, während das Lenkrad eingeschlagen ist – das ist das krasse Gegenteil von dem, was in jedem Fahrertraining gepredigt wird. Aber wenn das etwa 280.000 Euro teure Fahrspaßgerät nicht ab durch die Hecke gehen soll, musst Du an dieser Stelle bremsen.

Zum Glück ist der Tecnica so eine ehrliche Haut und lässt Dich an seiner Fahrphysik ganz transparent teilhaben. In der Übersetzung heißt das in etwa, dass für drei Millimeter Bremspedalweg das Heck einen halben Millimeter hochkommt und sich leicht nach außen lehnt. Und dann ist es nur eine Frage des Mutes, wie viele Millimeter Du dem Bremspedal zumuten willst. Dank seiner mitlenkenden Hinterachse verträgt der Tecnica an dieser Stelle auf jeden Fall mehr, als Du vielleicht denken magst.

Nach diesen beiden Schlüsselstellen – Abbiegen mit 270 und bremsen, wo du nicht bremsen sollst – folgt eine Reihe von netten Kurvenkombinationen, die mir einiges abverlangen, um nicht vollends den Anschluss an den Instruktor im Voraus-Wagen zu verlieren. Auf der anfänglich nassen Strecke werde ich bei meinen Bemühungen gelegentlich von der aufblitzenden ESP-Leuchte angefeuert. Aber auch in solch hektischen Situationen kündigt der Huracán Tecnica seine querdynamischen Regungen ganz klar an.

Die nächsten spannenden Ecken in Nardó sind die Kurven zehn und elf und die paar Meter dazwischen. Nummer zehn ist eine extrem langgezogene Kurve, die sehr hohe Geschwindigkeiten ermöglicht und aufgrund ihres Nicht-enden-wollen-Effekts eine Menge Mut erfordert, um hier richtig schnell zu sein. Und der Tecnica belohnt hohen Mut mit großer Stabilität.

Dann gibst Du am Ausgang endlich wieder richtig Gas, und trotz des Umwegs über das stehende Pedal fühlt es sich so an, als würdest Du die Drosselklappen des Zehnzylinders direkt mit dem Fuß eintreten. Der 5,2-Liter-V10 in Deinem Nacken brüllt zornig. Und Du siehst vor Dir plötzlich nur noch Asphalt und Himmel und weißt, in die Richtung ist’s nicht weit bis zum Mittelmeer.

Lamborghini Huracán Tecnica Freude am Fahren Attila Langhammer
Foto: Lamborghini

Auf meiner ersten Nardo-Runde – als Beifahrer des Instruktors – habe ich dem in den digitalen Tacho geschaut. Und der hatte kurz vor der Kuppe 160 plus X angezeigt. Langsamer wollte ich hier auch nicht sein – und war es anfangs auch nicht.

Mit gerader Lenkradhaltung ist die Sprungkuppe kein Problem und der Huracan verdaut den vertikalen Richtungswechsel ganz sanft. Mit zunehmender Trockenheit und im aggressiveren Corsa-Modus – der Tecnica kann in Strada, Sport oder Corsa gefahren werden, in Sport ist das ESP aus, in Corsa arbeitet es auf letzter Rille und ermöglicht die maximale Rundstrecken-Performance – komme ich auf eine hohe 180 und beim Einfedern stampft mir der dann knochentrockene Tecnica zweimal auf den Helm: deutlich härter als im Strada-Programm.

Da wo es raufgeht, geht’s natürlich auch wieder runter, mit Schuss auf den scharfen Linksknick mit der Nummer 11 zu. Der Hang zieht Dich in Richtung Richtungswechsel, bremst Du zu stark verlierst Du zu viel wertvolle kmh für die Kurve, in der was geht; bremst Du zu wenig, könnte die Fahrt jenseits der Fahrbahnbegrenzung in der milden Wildnis enden. Ein gutes Tempo hast Du, wenn der Tecnica im Scheitelpunkt mit Dir in die Knie geht – aber auch die Kompression verdaut er problemlos.

Dann kommen „nur noch“ ein paar schnelle Kurven und schließlich die Letzte, die in der es gilt, sonst kommst Du nie mit 300 Sachen am Ende der langen Geraden an. Für mich ging’s allerdings in die Box, weil dort schon ein Kollege auf das Auto wartete.

Dufte Bremsen am Huracán Tecnica

An diesem Tag im November 2021 bin ich mit zwei weiteren Motorjournalisten im permanenten Wechsel gefahren: Jeder Redakteur drei Runden, dann der Nächste und immer so weiter. Trotz dieser Dauerbelastung hatte ich zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, das die Carbon-Keramik-Bremsanlage die geringsten Ermüdungserscheinungen zeigt. Begünstigt wird deren Ausdauer aber auch durch die gegenüber dem Huracan Evo deutlich veränderte Luftführung. So wird an der Fahrzeugfront die Luft um den vorderen Gepäckraum so abgeleitet, daß sie von innen durch die Bremsscheiben nach außen gedrückt wird und für ordentliche Kühlung sorgt.

Wie schon eingangs angedeutet steckt eine Menge Extra-Technik im Huracán Tecnica, denn er soll sich in puncto Performance deutlich von den beiden Evo-Varianten abheben. So verfügt er beispielsweise über eine beinahe vollständige Unterbodenverkleidung, der Anpressdruck an der Hinterachse ist 35 Prozent höher als beim Evo mit Hinterradantrieb und gleichzeitig ist Luftwiderstand am Heckflügel aber 20 Prozent geringer – das begünstigt ganz besonders die Höchstgeschwindigkeit des Boliden. Der Lamborghini Huracán Tecnica erreicht eine Spitzengeschwindigkeit von beachtlichen 325 km/h. Von Null auf Hundert braucht er 3,2 Sekunden.

Im Innenraum fallen vor allem die gewichtsreduzierten Türtafeln mit Zuziehschlaufen sowie das leicht veränderte digitale Kombiinstrument auf: bei der Darstellung im Tecnica steht vor allem die gute Ablesbarkeit der Anzeigen im Focus. Auf dem zentralen Infotainmentschirm lassen sich allerlei Sport- und Performanceanzeigen darstellen.

Fazit

Lamborghini Huracán Tecnica Fahrerplatz Attila Langhammer
Foto: Lamborghini

Der Lamborghini Huracán Tecnica ist ein beeindruckender Supersportwagen. Warum? Weil er 640 PS/565 Newtonmeter ausschließlich auf die Hinterräder ballert ohne Dir dabei jemals in den Rücken zu fallen.

Dieses Leistungsmonster fährt unglaublich präzise und lässt Dich sehr transparent daran teilhaben, was fahrphysikalisch mit ihm passiert. Aufgrund dieser guten Vorhersagbarkeit macht das Schnell fahren, das sich Ran-Tasten ans Limit mit ihm verdammt viel Spaß. Aus dem Gesamtpaket seiner Eigenschaften ergibt sich ein wahnsinnig tolle Lernkurve, ohne daß Du Dich gepampert fühlen mußt.

Und andererseits kann der versierte Fahrer den Tecnicá sowohl auf dem Track-Day hart rannehmen als auch ganz entspannt damit auf eigener Achse nach Hause – oder in den Urlaub – fahren. Denn die Vielseitigkeit, die in dem eigentlich klar abgesteckten Sportwagen-Rahmen steckt, ist die zweite große Stärke dieses Traumwagens.

Jetzt fehlt nur noch ein bisschen Kohle; so zwischen 280 und 300.000 Euro wirst Du für einen Huracán Tecnica wohl hinblättern dürfen.

Technische Daten

Motor

V10 – Saugmotor

Bankwinkel

90°

Bohrung

84,5 mm

Hub

92,8 mm

Verdichtungsverhältnis

12,7 : 1

Leistung

640 PS bei 8000 U/min

Drehmoment

565 Nm bei 6500 U/min

0-100 km/h

3,2 s

0-200 km/h

9,1 s

Höchstgeschwindigkeit

325 km/h

Antrieb

Hinterradantrieb

Getriebe

7-Gang-Doppelkupplungsautomatik

Radstand

2620 mm

Länge

4567 mm

Breite (mit Spiegeln)

1933 mm (2236 mm)

Höhe

1165 mm

Spurweite vorn

1668 mm

Spurweite hinten

1624 mm

Leergewicht

1379 kg

Leistungsgewicht

2,15 kg/PS

Gewichtsverteilung (vorn/hinten)

41/59 %

Reifen (vorn/hinten)

245/30 R20 / 305/30 R20

Felgenmaß (vorn/hinten)

8,5J x 20" / 11J x 20"

Bremsscheiben vorn

380 x 38 mm

Bremsscheiben hinten

356 x 32 mm

Tankvolumen

80 l

Kofferraumvolumen

100 l

(Herstellerangaben)

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